(Interview anläßlich der Veröffentlichung der CD Norbert Stein PATA MASTERS „PATA JAVA“)
Pataphysik: „Eine Wissenschaft, die irrealer Logik und einer neuen Wirklichkeit jenseits der Grenzen der äußeren Erscheinungswelt verpflichtet ist, losgelöst vom gewöhnlichen Kausalitätsdenken.“ Dass es zwischen Himmel und Erde weit mehr gibt, als das was wir sehen und uns vorstellen können, das müsste heute selbst der eingefleischteste Wissenschaftler zugeben. Doch wie sollte etwas wissenschaftlich genannt werden dürfen, was mit den Mitteln der Wissenschaft eben gar nicht gemessen, erklärt und aufgezeigt werden kann? Boris Vian, ein Pataphysiker, erklärte dazu in einer Rundfunksendung am 23. Mai 1959: „Eines der Grundprinzipien ist das der Äquivalenz. Das erklärt Ihnen vielleicht unsere Weigerung, festzulegen, was ernst und was nicht ernst ist; da es für uns genau dasselbe ist, ist es Pataphysik.“ Als Komponist spricht Norbert Stein von „Inszenierten Räumen“. Er hat in Anlehnung an Alfred Jarrys Wortschöpfung den Namen „Pata Musik“ abgeleitet, um unter diesem Begriff eine Konstante zu etablieren, die als Identifikationsbasis für seine unterschiedlichsten Projekte dienen soll.
- Welches Gedankenmodell steckt hinter Pata?
Unter dem Namen Patamusik nehme ich mir die Freiheit, im Musikschaffen – aus meinen Erfahrungen und mir gegebenen Möglichkeiten heraus – diejenigen Mittel und Wege aus der Palette der Expressivität zu nutzen, die am klarsten das artikulieren können, was ich zum Ausdruck bringen möchte.
- Was darf man sich denn unter „Reflective Sounds Of Imaginary Folklore“ vorstellen?
Dieser Begriff ist der Titel der Kooperation von PATA MUSIC und ARFI (Association à la Recherche d´un Folklore Imaginaire), dem Musikerkollektiv aus Lyon, anlässlich der MusikTriennale Köln 2004. Über zwei Konzertabende haben wir mit 18 Musikern eine lebendige Musik entsprechend dem Titel dargeboten … und wie die Kritik vermerkte: „ … die Quellen sprudelten.“
- Die Lehre von der Verwechsel- und Austauschbarkeit von alles und jedem halte ich für eine Illusion. Wie frei ist ihre Musik wirklich? Brauchen nicht ihre Arrangements, sowie ein jedes Lebewesen gewisse Konstanten?
Der genaue Satz im Rahmen pataphysischer Axiome lautet (frei nach Jarry): „Alles ist verwechselbar, verwandelbar, umkehrbar und austauschbar: Dinge, Zeiten und Räume. Aber nichts ist beliebig, nur ist eben jede Einfachheit eine ineinander verwobene und sich durchdringende Vielfalt.”
Bei modularer Herangehensweise liegt daher die kompositorische Arbeit an der Gesamtform im Vermeiden von Beliebigkeit.
In meiner kompositorischen Tätigkeit beschäftige ich mich mit der Schaffung von optimal präzisierten thematischen, harmonischen oder strukturellen Aussagen sowie der Gestaltung und Ausbalancierung von Abläufen und Formen für improvisierende Musiker. Ich strebe eine möglichst klare Wiedergabe meiner Vorgaben an, gepaart mit dem Anliegen möglichst uneingeschränkte Spielräume zu inszenieren für die Fähigkeiten und Energien der beteiligten Musiker.
- Die Phase des Free Jazz z.B. war nur von kurzer Lebensdauer. Doch wohl weil dieser musikalische Anarchismus gegen die menschliche Natur und gegen sein Harmonieverständnis lief. Wie denken Sie darüber?
Ich bin dem Free Jazz begegnet als ich ca. 18 Jahre alt war und ich empfand diese Musik als eine existenzielle Erfrischung, ein wahrhaftiges Leuchtfeuer und auch als Ermutigung, mich in eigenem musikalischen Tun dem Kern der Kräfte, dem Wesen der Dinge zu widmen.
Bei der vorbildhaften Darstellung von elementaren Kräften denke ich neben Cecil Taylor auch an Iannis Xenakis.
Bei den Musikern des Free Jazz beeindruckte mich die existenzielle Notwendigkeit des Tuns, der Mut und das künstlerische Anliegen „hinter die Grenzen“ zu gelangen, auch um davon zu berichten. Musikalische Argonauten.
- Wie kam ihr Interesse an der indonesischen Kultur und Musik zustande?
Zum ersten Mal begegnete ich Gamelanmusik in den 70er Jahren durch eine LP Edition der UNESCO, einer Sammlung von traditioneller Musik aus aller Welt. Zeitgleich tauchte beim Hören von Musik von John Cage hinsichtlich seiner Kompositionen für präpariertes Klavier in den Begleittexten ebenfalls der Hinweis auf Ähnlichkeiten mit Gamelanmusik auf.
- Überhaupt Ihr Interesse an der sogenannten ethnischen Musik?
In meiner musikalischen Sozialisation wurde ich natürlich selber durchtränkt von hiesiger „ethnischer“ Musik und erkannte im Unterschied dazu folgerichtig andere, mir fremde musikalische Identitäten, Regeln und Kulturen. Ein faszierendes Auftauchen von Vielfältigkeit und Alternativen.
- Sie haben den herkömmlichen Jazz verlassen. War es Ihnen dort trotz aller Vielfalt zu eng geworden?
Das Genre „Jazz“ habe ich immer als offenes System verstanden: vielsprachig und als im Fluss befindlich. Daher habe ich „Jazz“ nie als eng empfunden, es sei denn, er wird als exklusives Regelwerk verstanden, als Rezeptur um Wohlbekanntes und herkömmlich Geschätztes hervorzubringen. Wenn dadurch das Feuer zur glimmenden Asche wird und das Abenteuer „Aktualität und Identität in Töne zu fassen“ außen vor bleibt, dann finde ich – um im Bild zu bleiben – das Feuer nicht mehr wärmend.
- Europäische Kammermusik, Jazz, Folklore und Elektronik scheinen bei Ihnen keine unvereinbaren Stilelemente zu sein. Ist das das Konzept der Zukunft: Alles in einem, eines in allem?
Der Begriff Patamusik, für den ich mich entschloss, weist auf eine umfassende Palette an ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten hin. „Man sollte mit den Farben malen, die einem gegeben sind“. Entscheidend ist die Identität und Wahrhaftigkeit des Ergebnisses.
- Sie arbeiten weltweit mit diversen großen Besetzungen und Orchestern. Wer finanziert ihnen diese Projekte?
Einige Projekte konnten als Auftragskompositionen im Rahmen von größeren Festivals realisiert werden (Die wilden Pferde der armen Leute; Ritual life), die fruchtbaren musikalischen Treffen mit dem französischen Musikerkollektiv Arfi wurde im Rahmen von Ausstellungskonzerten der Kulturabteilung Bayer realisiert (News of Roi Ubu; Die Schöne und das Biest), intensive Begegnungsprojekte mit anderen Kulturen fanden in Zusammenarbeit mit dem GoetheInstitut statt (Pata Bahia, Pata Maroc, Live in Australia, Pata Java), dies wiederum mit vielfältigen fördernden Partnerschaften, seien es der Bundesstaat Bahia – wie im Falle von PATA BAHIA – oder im Rahmen der Asienkooperation mit DaimlerChrysler „Culture in Motion“ wie bei der jüngsten Produktion PATA JAVA.
- Ihr Kontakt zum Goethe Institut scheint sich über viele Jahre gehalten zu haben. Ist das noch auf Ihre Zeit der Kölner Jazzhaus Initiative zurück zu führen?
Wie der Rückblick zeigt, ergaben sich erfreulicherweise immer wieder fruchtbare Kooperationen mit dem GoetheInstitut. Es gab diesen Kontakt auch schon Anfang der 80er Jahre, der Hoch-Zeit der Kölner JazzHaus Initiative, der Ursprung dieses Kontaktes ist jedoch sicherlich in unserer lebendigen und engagierten musikalischen Arbeit zu suchen.
- Sie betreiben Ihr eigenes Label, und kümmern sich wohl auch selbst um Konzerte. Bleibt bei all den organisatorischen Tätigkeiten immer genug Platz für den Musiker Norbert Stein?
Das Berufsbild des selbstständigen Musikers bringt diese Bündelung an notwendigen Tätigkeiten mit sich. Als Betreiber meines eigenen unabhängigen Labels PATA MUSIC muss ich mich konsequenterweise auch um die sich daraus ergebenden Aufgaben kümmern; die erfreulichen Möglichkeiten der Internetpräsentation mit dem Angebot des Online-Direktversands beanspruchen ebenfalls Arbeitszeit und eine CD-Produktion verlangt immer wieder zeitintensives aktives Durchlaufen der notwendigen Produktionsschritte. Die Arbeitsschwerpunkte befinden sich in ständigem Wechsel.
Davon unabhängig läuft das Kontinuum an künstlerischen Tätigkeiten wie Üben, Komponieren, Konzerte spielen, Projekte entwickeln und diese dann konsequent realisieren. Eine ständige Aufgabe bleibt es, alle diese Bereiche in einer ausgewogenen Balance zu halten.
- Sie haben ihre neue CD in Yogyakarta aufgenommen. Wurden Sie von Djaduk Ferianto zu diesem Projekt eingeladen, oder wie kam es zustande?
Das Projekt PATA JAVA entstand auf unserer ersten Reise mit den PATA MASTERS nach Indonesien im Jahre 2001 im Anschluss an Konzerte in Australien (CD „Live in Australia“). In Kooperation mit dem GoetheInstitut Jakarta wurde dort die Idee zu einer Begegnung der PATA MASTERS mit Gamelanmusik geboren. Bis zur Realisierung vergingen letztendlich zwei Jahre.“
- Die Zusammenarbeit mit einem Gamelanorchester war sicherlich sehr interessant?
Wir hatten die seltene Gelegenheit in ländlicher Umgebung in Yogyakarta über 10 Tage hinweg täglich intensiv an der Verschmelzung unserer Ideen zu arbeiten, konnten dann in Yogyakarta, Bandung und Jakarta erfolgreiche Konzerte geben und am Ende unseres Aufenthaltes innerhalb von drei Tagen die Musik zu PATA JAVA in einem Tonstudio in Jakarta aufnehmen. Es war uns eine Freude in den Musikern von KUA ETNIKA auf Java Kollegen zu treffen, die – trotz anderer musikalischer Tradition und wesentlich anderem Instrumentarium als wir es selber mitbrachten – , mit großer Offenheit und Stärke die Begegnung mit uns begrüßten. Auf dieser Basis fanden wir schnell zu tiefer musikalischer Arbeit an einer gemeinsamen Musik unter Wahrung der unterschiedlichen Identitäten. Eine intensive Begegnung auf gleicher Augenhöhe.
- Sind für Deutschland Konzerte mit Kua Etnika geplant?
Es besteht die Absicht, PATA JAVA auch auf hiesige Bühnen zu bringen und dem deutschen Publikum vorzustellen. Konkrete Termine für diese Reise zwischen Kontinenten und Kulturen gibt es noch nicht.
Klaus Dieter Zeh, Jazzpodium