Ob Pata-Trio, Pata Horns, Pata Orchester, Pata Masters oder Pata Generators – wo Pata draufsteht, ist immer Norbert Stein drin. Der Kölner Saxofonist und Komponist hat schon vor Jahrzehnten in Anlehnung an die Pataphysik des französischen Schriftstellers Alfred Jarry einen wiedererkennbaren Überbegriff für seine Musik gefunden. Für seine neue Aufnahme fährt er das Pata-Prinzip im Cadillac spazieren.
Niemand wird in einen luftleeren Raum hineingeboren. In Ort und Zeit treffen wir auf eine bestimmte Kultur, werden durchströmt von Musik. Als frühkindliche Prägung werden wir das nicht mehr los. Wir haben die gleiche innere Referenz, wir habe die Tradition. Beides ermöglicht Kommunikation. Für den Pata-Musiker Norbert Stein ist sie der Schlüssel zur Musik und Kommunikation.
Klaus Hübner: Der von Ihnen seit vielen Jahren verfolgten Pata-Idee scheint der Nachschub nie auszugehen. Wie inspirieren Sie sich immer wieder selbst?
Norbert Stein: Ich bin lebendig, und bin in dieser Welt und will diese Welt im Tun begreifen und als Musiker darstellen. Darauf gibt es nicht nur eine Antwort, sondern es geht auf vielen Ebenen immer weiter. Die Inspiration ist ein Weitergehen, und die Möglichkeiten zu arbeiten sind sehr vielfältig.
Klaus Hübner: In einem Interview vor drei Jahren unterhielten wir uns über den Begriff Realität. Unter anderem sagten Sie den Satz: „Mit dem, was Realität sein kann, bin ich musikalisch konfrontiert, und meine Musik soll dem standhalten.“ Hat Ihre Musik seitdem standgehalten?
Norbert Stein: Ich denke schon. Im Begreifen des Ganzen, mit dem ich als Mensch weitergehe, will auch die Musik immer weiter aktualisiert und geformt werden. Grundkräfte bleiben zwar gleich, aber ich denke, die Musik hält dem, was ich damals als Forderung formuliert hab, stand. Die Frage, was Realität ist und wie ich damit umgehe, ist nach wie vor spannend. Damals ging es um Musik und die Erkenntnisse, was Bewusstsein eigentlich ist, wo die Grenzen sind, was man begreifen kann und was nicht, was unbegreifliche Vorgänge sind, von denen wir keine Ahnung haben. Das alles ist nach wie vor gültig. Um die Frage zu beantworten: Bislang ist alles noch stimmig.
Klaus Hübner: Ist die Musik Ihrer neuen CD Pata On The Cadillac realer im Sinne von kommunikativer geworden?
Norbert Stein: Auf Kommunikation habe ich immer ein Augenmerk gehabt, weil sie das Anliegen der ganzen Sache ist. Was sich nicht nur darauf beschränkt, zu persönlichen Erkenntnissen zu kommen, sondern auch als Mensch dieser Welt zu kommunizieren. Dabei ist die Musik und überhaupt die Kunst ein sehr gutes Mittel. Ich lege Wert darauf, dass die Musik für die, die wollen, verständlich ist oder zumindest Ansätze eines Verständnisses besitzt. Es sind kulturelle Referenzen von dem, was wir kennen, vorhanden, die als hilfreiche Mittel der Kommunikation – durch unsere gemeinsame Sprache – funktionieren.
Klaus Hübner: Im Vergleich zum Vorgängerprojekt Silent Sitting Bulls hat sich die Besetzung verdoppelt. Bedeutet das automatisch eine größere musikalische Kommunikation innerhalb der Band?
Norbert Stein: Nein, das würde ich so nicht unbedingt unterstreichen. Die Kommunikation kann sowohl im Trio wie in anderen Kombinationen groß sein. Nein, es ist eine ganz andere Palette von Farben vorhanden, und es ist möglich, mit ganz anderen Kräften umzugehen. In meiner aktuellen Formation verhält es sich mehr wie Rhythmusgruppe und Bläser. Auf einem rhythmischen Fluss können sich viele Linien ändern und ineinanderfließen, weil es mehr Spieler sind, so dass ich die Möglichkeit habe, Gleichzeitigkeiten hineinzukomponieren. Wen man so will, habe ich bei acht Musikern acht polyphone Stimmen. Hier geht die Tendenz zum orchestralen Arbeiten, hier ist es möglich, ganz andere Bilder zukomponieren.
Klaus Hübner: Der Klangraum vergrößert sich, trotzdem ist das Intime eines kammermusikalischen Kontext vorhanden. Dafür sehe ich das Stück „In a man´s mind“ als bestes Beispiel. Kann man diese Verhältnisse als Gerüst der Produktion ansehen? Ist die Lust am Experiment, am Agieren auf unsicherem Gelände nach wie vor vorhanden?
Norbert Stein: Zum ersten Teil der Frage: Ja, das haben Sie richtig benannt. Von diesem Punkt an kann ich andere Bilder malen. Es ist eine kleine orchestrale Situation entstanden. Andererseits stolpere ich immer wieder über das Wort Experiment, denn ich bewege mich nicht auf unsicherem Gelände. Experiment heißt: etwas versuchen. Das ist es hier aber nicht, denn von vornherein war klar, was gefasst werden soll. Die Musiker, mit denen ich teilweise schon lange zusammenarbeite, sind von ihrem Können und Verständnis her in dieser Besetzung fähig, schnell, präzise und gut zu fassen, worauf es bei dem, was ich komponiert habe, herauslaufen soll. Die Musik ist eine Realisierung von dem, was dargestellt und kommuniziert werden soll. Daher ist es kein Experiment. Natürlich experimentiere ich für mich, aber nicht in einer Produktion. Sie ist das Ergebnis. Im Ergebnis beantwortet sich die Frage, ob alles das, was ich als Wert in die Kommunikation einbringen wollte, auch drin ist. Das darf natürlich nicht rahmenlos sein und liegt einer gewissen Messbarkeit. Melodien öffnen sich in die freien Räume, wo sie zu Linien werden oder wo Rhythmus zum einfachen Fluss oder Harmonie zum Klang wird. Die Begriffe, die für den Hörer tragend und verständlich bleiben, weiten sich aus in ihr elementares Sein. Wenn es mir dann noch gelingt, dabei spürbar zu machen, was ich als Realität verstehe, ist es gut.
Vorbestimmter Landeplatz
Klaus Hübner: Sind Ihre Stücke komplett auskomponiert? Welche Vorgaben bekommen die Musiker von Ihnen?
Norbert Stein: Kein Stück kann irgendwo hinführen, wo ich nicht weiß, wo wir landen werden. Es sind alles Kompositionen, in denen Anfang, Verlauf und Ende genau festliegen. Der Begriff komponierte Räume bedeutet, dass ich für Improvisatoren komponiert und Abläufe konzipiert habe. Wie die Musiker die Räume füllen, ist ihre Sache.
Klaus Hübner: Ist die Musik auf Pata On The Cadillac speziell für diese Projekt entstanden?
Norbert Stein: Als ich nach meiner musikalischen Sozialisation begonnen habe, selbst zu musizieren, fand ich den Bereich der Improvisation sehr faszinierend. Später kam das eigene Formen und Komponieren dazu. Da war ich schon in der Situation, aus voller Überzeugung heraus daran zu arbeiten, dass das eine – die Komposition – das andere – die Improvisation – nicht erstickt, sondern die Komposition die Improvisation initiiert, um das, was ich daran gut finde, ins Leben zu rufen. Diese Aufgabe als Komponist, für Improvisatoren zu komponieren, ist nicht erst in den letzten Jahren entstanden, sondern bestand von Beginn an.
Klaus Hübner: Sie haben schon des Öfteren mit großen Besetzungen gearbeitet. Wo sind Sie persönlich lieber zu Hause – im Gr0ßen oder im Kleinen?
Norbert Stein: In dieser Musik bedeutet es einen großen Wert für mich, in dem Bereich der Freiheit dessen, was wir wir tun, es mit anderen Menschen gemeinsam zu tun. Das beginnt für mich im Duo und wird interessanter im Trio. Hinzu kommt, dass ich ja auch Saxofonist bin und es liebe, wen ich selber spielen kann und dafür den Platz habe. Als Komponist liebe ich die vielen Farben und größeren Bestzungen. Die wollen jedoch anders organisiert werden. Ich spüre zwei Seelen: Eine kleine Besetzung lässt zum Spielen mehr Raum, eine größere Besetzung versprichtfür den Komponisten mehr Farben und den Umgang mit mehr Kräften.
Klaus Hübner: Der Begriff Cadillac deutet auf die amerikanische Automarke hin. Stimmt das so für Ihr Album?
Norbert Stein: Cadillac ist Cadillac. Es ist das Auto. Wie zu dem Titel kommt? Ich finde es schön, wenn das offen bleibt. Cadillac ist ein stolzer Begriff, für Großes, für Edles. Ich zögere etwas, eine eigene Interpretation herauszugeben. Cadillac hat auch etwas mit Lebenslust zu tun.
Klaus Hübner: Schränkt der Begriff Pata Sie nicht ein nach so vielen Jahren der Beschäftigung damit?
Norbert Stein: Nein, denn der Begriff ist so schillernd, dass ich ihn immer wieder mit aktuellem Leben füllen kann. Er nimmt mich nicht gefangen oder setzt mich Grenzen aus.
Interview von Klaus Hübner, Jazzthetik