Der Komponist Norbert Stein auf der Kölner Musik-Triennale

Was für andere ein Oktett ist, nennt Norbert Stein schon ein Orchester, und er selbst spielt darin mit: Das sieht nach einem bescheidenen Komponisten aus. Andererseits ist er auch recht unbescheiden. Er gibt sich nicht damit zufrieden, dass das Orchester die Noten spielt, die er geschrieben hat, sondern er braucht Musiker, die aus seiner Musik etwas Eigenes machen. Und vom Publikum wünscht er sich nicht nur, dass es nicht hustet, sondern dass es sich einlässt auf spezifische Qualitäten seiner Musik, die das bloß Hörbare überschreiten. Insofern steht Stein nicht nur in der Tradition des zeitgenössischen Jazz (zu der er seit seiner Zeit in der Kölner Saxophon Mafia nie ganz den Kontakt verloren hat), sondern etwa auch in der eines Karlheinz Stockhausen. In erster Linie aber ist er ein eigensinniger Musiker, der sich vor Etikettierungen mit seinem eigenen Label Pata Musik schützt. Die spezifischen pata-musikalischen Qualitäten waren Gegenstand eines dreiteiligen Komponistenporträts, das Norbert Stein im Rahmen der Musiktriennale im Kölner Stadtgarten vorstellte: als Komponisten, als Konzeptualisten und als Saxophonisten.
Drei Teile lassen sich am besten nach dem Modell von These-Antithese-Synthese organisieren. Die These – genannt Pata Blue Chip – enthielt die starke Behauptung, eine Einheit aus elektronischer Musik und einer nicht-figurativen, assoziativen Bildsequenz herzustellen, wobei alles mit vorgegebenem Material in spontaner Improvisation erzeugt wurde. Die Realisierung dieses Konzepts durch Stein, Xavier Garcia, Christoph Hillmann und Frank Köllges verzichtet auf lautmalerische Samplings und verbleibt – wie der Beitrag des Bild-Elektronikers Reinhold Knieps – auf einer assoziationsreichen Ebene von Abstraktion.
Die Aufführung gilt eher dem Ausmessen eines Raumes als der Absicht, ihn mit konkreten Inhalten zu füllen. Eine blaue Spirale, die in ihrer Drehung zugleich Ruhe wie eine endlos nach innen gerichtete Bewegung vorführt, ist das Leitmotiv, und die Musik hat in diesem Kontext eher etwas Objekthaftes als etwas Flüchtig-Prozessuales. Keineswegs nämlich kann man von dieser Performance sagen, dass Musik und Bilder zueinander passen. Sie illustrieren sich nicht gegenseitig, stellen also auch kein Abhängigkeitsverhältnis her, sondern bilden eine akustisch-visuelle Installation und illuminieren mit unterschiedlichen Mitteln gemeinsam das Gleiche. Wenn man jetzt nur wüßte, was! Es muss irgendwo in einer imaginären Mitte liegen, zu der sich die Leute auf der Bühne hinwenden. Keineswegs vertrauter ist das Klangbild der Pata Masters. Das ist ein Quintett aus drei Bläsern (Norbert Stein, Tenorsaxophon, Michael Heupel, Flöten, und Reiner Winterschladen, Trompete) und zwei Perkussionisten (Klaus Mages, Schlagzeug, Matthias von Welck, Slit Drum und Gongs). Die Basis ist hier ein dichtes rhythmisches Band, das in den tiefsten Tiefen der hörbaren Frequenzen fußt (von Welcks Slit Drums haben einen immens obertonreichen Klang, und Heupel setzt seine erstaunliche Sub-Kontrabass-Flöte häufig perkussiv ein) und die Zeit souverän und voller Energie, aber ohne treibenden Swing teilt.
Von den Bläsern kommen klare melodische Signale, meist parallel gesetzt und oft rubato – also mit größtmöglicher Aufmerksamkeit füreinander gespielt, und ihre die Soli werden intensiv gelenkt durch eine Atmosphäre, die gleichermaßen archaisch wie kunstvoll daher kommt. So entwickeln die Soli keine weiten Spannungsbögen, sondern häufen Idee auf Idee und steuern eine Dramatik der Kumulation an. Es ist ein herrischer, aber friedlicher Wettbewerb melodisch-klanglicher Fragmente, die sich wiederum um eine gemeinsame Mitte gruppieren und sich schreiend nebeneinander behaupten – kein Supermarkt mit Selbstbedienungsregalen und einer Kassenschlange am Ende, sondern ein intensiver, nuancenreicher mediterraner Markt, wo alles sofort bar bezahlt wird.
Die starke räumlich-soziale Komponente der Musik war zentraler Bezugspunkt beim orchestralen (vulgo: Oktett-) Finale. Das Pata Orchester, bestehend aus einer Rhythmus-Sektion (von Welck, Köllges, Hillmann und Mages) und einer Bläser-Sektion (Stein, Heupel, Winterschladen und Frank Gratkowski) und erweitert um elektronische Klangerzeuger (Stein, Hillmann) zelebrierte eine hoch verdichtete Musik, die einen weiten Horizont abwandert und dabei viele eigene Wege geht, ohne sich von anderen abzuwenden. Steins Kompositionen arbeiten nicht mit subtilen, ausnotierten Klangbildern, sondern mit der freigeistigen Kombinationen individueller Ausdruckweisen. Und man sollte nicht meinen, dass hier der Freiheit der improvisierenden Musiker eine Beliebigkeit im Ergebnis entspräche: Stein ist ein aufmerksamer Klang-Tüftler mit präzisen Vorstellungen, und er hat stets gleichermaßen die Details wie das Gesamtbild im Auge. Nicht nur die Noten, die er geschrieben hat, sondern durchaus auch der Druck, den seine fordernde und gebende Präsenz ausübt, machen das soziale Gebilde namens Konzert zu einem intensiven Erlebnis. Und zu einem nachhaltigen, denn die drei Konzerte lenken die Aufmerksamkeit auf etwas, was man mit aus dem Saal nehmen kann: eine imaginäre Mitte.
Hans-Jürgen Linke